WANN KOMMT DIE PLEITEWELLE?

High Yield Investoren müssen sich permanent Gedanken um die Ausfallwahrscheinlichkeit ihrer Anlagen machen. Nach Rezessionsjahren steigt die sog. „Default Rate“ typischerweise an, wobei der Höhepunkt in aller Regel kurz nach der Rezession, also zu Beginn des Aufschwungs erreicht wird. Dieser wird für 2021 prognostiziert. Droht bei Firmen unterhalb des Investment Grade Bereichs im kommenden Jahr somit ein Massensterben? Ob dies der Fall sein wird bzw. inwiefern entsprechende Erwartungen am High Yield Markt bereits eingepreist sind, erläutert Felix Fischer, Head of Research bei Lucror Analytics.

Felix Fischer ist Head of Research von Lucror Analytics mit Sitz in Singapur. Er begann seine berufliche Laufbahn bei der DEKA in Frankfurt und arbeitete anschließend für die HypoVereinsbank (Unicredit) in München, Lehman Brothers in London und PIMCO in München. Er ist eines der Gründungsmitglieder von Lucror Analytics und arbeitet seit 2010 für das Unternehmen mit Schwerpunkt High Yield Research.

Herr Fischer, man hört und liest viel von der coronabedingten Pleitewelle. Warum ist es zu dieser bislang noch nicht oder zumindest nicht in dem Ausmaß gekommen, wie sie seit vielen Monaten von den Rating- Agenturen prognostiziert wurde?

Diesbezüglich ist grundsätzlich zu unterscheiden, welche Art von Firmen gemeint ist und wo diese ansässig sind. In Deutschland z.B. haben umfassende Staatshilfen bisher zahlreiche Pleiten verhindert. Dies gilt sowohl für mittelständische Betriebe, die direkte Hilfe bekommen haben, als auch für größere Unternehmen wie etwa TUI, die von staatsgarantierten Krediten profitieren konnte. Außerdem ist natürlich die jeweilige Branchenzugehörigkeit ein entscheidender Faktor. So sind Gastronomie, Fluggesellschaften und Tourismusunternehmen in einem ganz anderen Umfang betroffen als Unternehmen aus der Pharmaindustrie. Eins steht aber fest: Ohne die umfassende staatliche Unterstützung sowohl direkt als auch indirekt (etwa das Kurzarbeitergeld) wäre es zu einer in der Nachkriegsgeschichte noch nicht gesehenen Anzahl an Insolvenzen gekommen.

Die Rating-Agenturen rechnen für das kommende Jahr mit einer Ausfallrate im mittleren einstelligen Bereich. Gehen Sie hiermit konform?

Dies erscheint mir durchaus plausibel. Es wird sicherlich zu einem leichten Anstieg der Kreditausfälle kommen. Allerdings gehe ich nicht von einer Pleitewelle aus. Die meisten Unternehmen mit einem Credit Rating sind bezüglich Liquidität relativ gut aufgestellt, selbst wenn es zu weiteren Lockdowns kommt.

Warum sollte die High Yield Default Rate im kommenden Jahr niedriger ausfallen als 2010 (laut S&P lag sie 2010 bei ca. 10% weltweit)?

Zum einen waren die Banken 2009 und 2010 wesentlich vorsichtiger bei der Kreditvergabe, aber auch Fondsgesellschaften waren nicht bereit, erhöhte Risiken einzugehen. Zum Beispiel musste ein solides Investment Grade Unternehmen wie etwa Holcim 2009 für seine Anleihen 9% zahlen, um diese erfolgreich zu platzieren. Derzeit sind die Zinsen deutlich niedriger und die Bereitschaft von Anlegern und Banken ins Risiko zu gehen ist wesentlich höher. So hat die mit Single- B geratete italienische Industria Macchine Automatiche erst kürzlich erfolgreich eine deutlich überzeichnete Anleihe zu 3,75% platziert. Den meisten auch schwächeren Unternehmen war es 2020 möglich, sich zu refinanzieren bzw. für (noch) schlechtere Zeiten vorzusorgen. Dieses war 2009 nicht der Fall, was ein wichtiger Grund für die erhöhten Kreditausfälle 2010 war. Insofern erwarte ich keinen ähnlichen Anstieg der Ausfallraten. Allerdings wird es den einen oder anderen Default bei schwächer aufgestellten Unternehmen geben.

Der iTraxx Crossover Europe 5yr CDS, ein Maßstab für den Zinsaufschlag von High Yield Unternehmen, liegt aktuell bei ca. 250 Basispunkten und ist damit fast wieder auf den Stand von Januar 2020 gefallen. Wie erklären Sie sich diese enorme Entspannung am Kreditmarkt, die im krassen Kontrast zur wirtschaftlichen Realität steht?

Die von ihnen beschriebene Entwicklung ist zum Teil auf die sehr hohe Nachfrage nach hochverzinslichen Anlagen zurückzuführen. Das aktuelle Niedrigzinsumfeld sorgt dafür, dass viele Investoren gezwungen sind, sich nach Alternativen im Fixed Income Bereich umzusehen, um die Erwartung der Anleger zu erfüllen. Außerdem sind die Ausfallraten derzeit noch moderat. Allerdings sind die Spread Levels in der Tat historisch betrachtet auf einem niedrigen Niveau. Dies gilt sowohl für amerikanische als auch europäische HY Bonds. Asiatische HY Anleihen sind meiner Einschätzung nach aktuell dagegen noch attraktiv. Hier hat die Erholung noch nicht in dem Maße wie in Europa und den USA stattgefunden, obwohl die Spreads im Dezember auch hier deutlich zusammengelaufen sind. Die Märkte fokussieren sich zu sehr auf die Spannungen mit den USA und berücksichtigen zu wenig die soliden ökonomischen Rahmenbedingungen sowie die Tatsache, dass Asien die Coronakrise wesentlich besser managt als der Westen.

Die implizite Default Wahrscheinlichkeit liegt gemessen am iTraxx Crossover bei 16-18% (mit 30%-40% Recovery Rate) für die kommenden 5 Jahre. Ist diese Markterwartung Ihrer Meinung nach realistisch?

Wie bereits erwähnt denke ich nicht, dass es zu einem massiven Anstieg der Ausfallraten kommen wird. Insofern ist die Markterwartung in etwa realistisch. Drei bis dreieinhalb Prozent Default Rate im Schnitt pro Jahr ist übrigens nicht so weit weg von der Historie und eine Verwertungsquote im Bereich von 30-40% würde ich auch weiterhin erwarten.

Gibt es bestimmte Sektoren, die aus Ihrer Sicht 2021 besonders gefährdet sind?

Größere Risiken sehe ich in Sektoren, in denen COVID-19 eine nachhaltige Veränderung ausgelöst hat. Hierzu gehören sicherlich Airlines, die sich in Zukunft auf eine wesentlich geringere Zahl von Geschäftsreisenden einstellen müssen. Außerdem hat Corona natürlich den Trend zum Online-Handel verstärkt. Retailer, die kein schlüssiges Online-Konzept vor-weisen können, sind deshalb wohl auch gefährdet.

Quelle: Bloomberg, Lucror Analytics, Stand 22.12.2020

Ein „Default“ in der Bondwelt ist ja zunächst ein weit gefasster Begriff und muss nicht immer gleich auch einen Totalverlust bedeuten. Was versteht man unter der sog. „Loss Rate“ und wie dürfte sich diese 2021 entwickeln – auch im Kontext zur Historie? Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang den Trend zur Aufweichung der Covenants (Covenant Lite)?

Unter der Loss Rate versteht man den Verlust im Vergleich zu der vereinbarten Rückzahlung. Erhält ein Anleger nach einem Zahlungsausfall beispielsweise nur 30% des Nominalbetrags einer Anleihe zurück, liegt die Loss Rate bei 70%. Ich denke nicht, dass sich die Loss Rate 2021 nachhaltig ändern wird.

Die Aufweichung von Covenants, also der Kreditbedingungen, ist zweifellos negativ für Investoren. Zum einen unterliegen die Unternehmen weniger Beschränkungen bezüglich Verschuldung, Investitionen und Ausschüttungen. Zum anderen führen die weicheren Covenants dazu, dass Gläubiger erst wesentlich später involviert werden. Häufig ist das „Kind dann schon in den Brunnen gefallen“, bevor die Gläubiger gegensteuern können.

Glauben Sie, dass es in Anbetracht der speziellen Corona-Situation vermehrt zum „Nachschießen“ durch die Eigenkapitalgeber kommen wird oder sehen Sie eher „Debt for Equity Swaps“ als neuen Trend?

Angesichts attraktiver Unternehmensbewertungen und hoher Liquidität denke ich, dass Eigenkapitalgeber insgesamt eine große Bereitschaft haben, frisches Eigenkapital nachzuschießen.

Allerdings werden Debt for Equity Swaps in bestimmten Situationen (z.B. bei einer hohen Überschuldung) ein nach wie vor sinnvolles Instrument zur Rekapitalisierung darstellen. Dies hängt jedoch auch von der Zusammensetzung der Gläubiger ab. Halten etwa Hedgefonds einen großen Teil der Anleihen bzw. Kredite, ist die Bereitschaft für einen Debt for Equity Swap im Allgemeinen höher und die Umsetzung unproblematischer, als wenn die Schulden mehrheitlich bei Retail-Investoren bestehen.

Blicken wir noch einmal auf die aktuelle Situation am High Yield Markt. Die Renditeunterschiede, auch inner-halb der gleichen Rating-Kategorie, waren schon in der Vor-Corona-Zeit extrem hoch. Jetzt ist diese sog. „Dispersion“ noch größer geworden. Bei Namen wie TUI oder Stonegate Pub (britischer Pub-Betreiber) beträgt die implizite 5-jährige Ausfallwahrscheinlichkeit rund 50%, während andere Bonds bei niedrigen einstelligen Renditen handeln und der Markt hier somit von einem fast sicheren Überleben ausgeht. Liegt der Markt mit seiner Differenzierung richtig oder sehen Sie einzelne Übertreibungen?

Auch derzeit gibt es zweifellos attraktive Investitionsmöglichkeiten und gleichzeitig Anleihen, die Anleger meiden sollten. Im Fall von Stonegate und TUI ist allerdings zu bedenken, dass durch Corona ein nachhaltiges Risiko für das Geschäftsmodell entstanden ist, da die Pandemie das Konsumentenverhalten verändern wird. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass der TUI-Konkurrent Thomas Cook 2019 auch ohne Corona trotz insgesamt guter Rahmenbedingungen Insolvenz an-melden musste.

Ich denke, dass einige Anleihen aus dem Capital Goods Sector interessant sind. So rentieren Schuldtitel von Norican beispielsweise bei ca. 10%, obwohl das Unternehmen trotz fallender Umsätze in der Corona-Krise noch Cash Flow positiv war. Auch Anleihen von Novafives und Schenck halte ich für durchaus interessant. Diese Unternehmen sind gut aufgestellt, um die Krise zu bewältigen und sollten von erhöhter Nachfrage für Instandhaltung nach den Lockdowns profitieren.

Wie finden Sie persönlich den Begriff „Zombie-Unternehmen“, von dem in letzter Zeit öfters zu lesen ist?

Zombie-Unternehmen ist sicherlich kein schönes Wort. Allerdings ist es durchaus zutreffend für Firmen, die eine nicht mehr angemessene Kapitalstruktur haben und sich nur durch Notkredite, das Nachschießen von Eigenkapital und/oder das „Verscherbeln von Tafelsilber“ über Wasser halten können. In diesen Fällen ist eine Kapitalrestrukturierung in der Regel angebracht. Leider sind die rechtlichen Rahmenbedingungen in zahlreichen europäischen Ländern nicht förderlich für eine sinnvolle Rekapitalisierung. Am High Yield Markt – insbesondere auch bei Unternehmen, die über ein Credit Rating verfügen – sehe ich derzeit allerdings kaum Zombie-Unternehmen.

Herr Fischer, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre interessante Einschätzung!